Deutschlandreise

Erinnerungen an Tage, die das Leben veränderten

 

Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

 

 

"Zeit heilt nicht alle Wunden", deshalb habe er sich als Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen zur Verfügung gestellt, sagte Roland Jahn in Bremerhaven. Auf der Podiumsdiskussion sprachen auch andere prominente Zeitzeugen über ihre persönlichen Schicksale.

  

Bremerhaven war einst für Millionen Auswanderer aus Deutschland, viele von ihnen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, das Tor zur Welt. Von hier brachten Schiffe die heimatlos gewordenen Menschen in ferne Länder, die sie aufnahmen und ihnen den Start in ein neues Leben ermöglichten. Daran erinnerte Bremerhavens Schul- und Kulturdezernent Michael Frost mit Blick auf die aktuelle Lage von Kriegsflüchtlingen und Asylanten in Deutschland in seiner Begrüßung zu einem Podiumsgespräch am 13. August mit prominenten Zeitzeugen.

 

Mauerbau veränderte Leben

 

Während Zehntausende bei herrlichstem Wetter an den Docks der Bremerhavener Havenwelten Windjammer aus aller Welt, die zur „Sail 2015“ gekommen sind, bestaunten, versammelten sich im Saal des Deutschen Auswandererhauses zahlreiche Interessierte, um sich am 54. Jahrestag des Mauerbaus der Ereignisse zu erinnern, die für so viele Menschen das Leben veränderten.

 

Die Rechtsanwältin Brigitta Kögler aus Jena erinnert sich an den 13. August 1961, als sie Rettungsschwimmerin an der Ostsee gewesen sei und dort das Ausfahren der DDR-Kriegsmarine vor der Küste erlebt habe. Das sei der Tag des Eintritts von Politik in ihr Leben gewesen. Ihren Wunsch, Jura zu studieren, kann sie verwirklichen. Sie wird eine der insgesamt nur 500 zugelassenen Rechtsanwälte in DDR.

 

Bald drängt die Staatssicherheit mit Nachdruck auf ihre Mitarbeit, der sie sich aber verweigern kann. Eine Reiseerlaubnis zum Geburtstag ihrer Mutter, die in Westdeutschland lebt, löst in der Folge ein Berufsverbot aus, alle Mandantenunterlagen ihrer Kanzlei werden beschlagnahmt. Brigitta Kögler wendet sich daraufhin den politischen Oppositionsgruppen zu und wird Mitgründerin des Demokratischen Aufbruchs und später frei gewählte Volkskammerabgeordnete. Heute ist sie wieder als Rechtsanwältin in Jena tätig.

 

Die friedliche Einheit - ein Wunder

 

Roland Jahn, heute Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, war damals erst acht Jahre alt, kann sich aber an den Einschnitt im Familienleben erinnern, den dieser Tag auslöste. Als Journalist gerät Jahn immer wieder in Konflikt mit der Staatsmacht. Ein Bericht über den Tod eines Freundes in der Stasihaft, der auch in westlichen Medien erscheint, führt zu seiner Inhaftierung. Die Androhung einer langjährigen Haft und damit verbundener Trennung von der Familie, wenn er sich einer Kooperation verweigere, habe ihm bewusst gemacht, dass man nicht nur für sich selbst durch sein Handeln Verantwortung trage.

 

Der langjährige Kulturstaatsminister Bernd Neumann bekam von seiner Partei CDU 1990 den Auftrag, die teilweise belastete Ost-CDU mit den neuen Parteien Demokratischer Aufbruch (DA) und Deutsche Soziale Union (DSU) für die Volkskammerwahl zum Parteienbündnis "Allianz für Deutschland“ organisatorisch zu unterstützen und programmatisch zu beraten. Dies sei die spannendste und aufregendste Phase seines langen politischen Lebens gewesen, sagt Neumann, der selbst einer Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen entstammt.

 

Besonders heikel sei der Auftrag gewesen, den damaligen DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur wegen dessen Stasi-Vergangenheit vier Tage vor der Volkskammerwahl zum Rücktritt zu bewegen. Dies erfolgte am Krankenbett von Schnur und habe von diesem zu einer erkenntnisreichen Darstellung der Anwerbe- und Verpflichtungsmethoden der Stasi geführt.

 

Neumann betont die Bedeutung von Erinnerung. Dem trage das von ihm 2007 initiierte Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, das sich den Schrecken und Auswirkungen der Diktaturen in Deutschland widme, Rechnung. Er halte die Demokratie in West und Ost für stabil und für nicht gefährdet. Die friedliche Einheit vor 25 Jahren sei ein Wunder gewesen, es sei viel erreicht worden aber Integration dauere länger als 25 Jahre.

 

Die Freiheit zu vergessen

 

Für Roland Jahn gehört zur Freiheit auch die Freiheit zum Vergessen. Dies gelte für den einzelnen Menschen, nicht aber für eine Gesellschaft insgesamt. Die Erfahrungen der Vergangenheit müssten genutzt werden, um künftige Diktaturen zu verhindern. Die Leistung der neuen demokratischen Parteien in der Volkskammer sei beeindruckend gewesen. Er habe Hochachtung vor den damaligen Amateurpolitikern, die in kürzester Zeit mit Unterstützung westlicher Politiker eine Vielzahl von notwendigen Gesetzesvorhaben erarbeitet hätten. Entscheidend sei damals auch das Gespür von Helmut Kohl für die wichtigen Schritte zur richtigen Zeit gewesen. Für ihn selbst gelte, dass die Zeit nicht alle Wunden heilen könne, daher habe er sich als Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen zur Verfügung gestellt.

 

Brigitta Kögler spricht von einer epochalen Zeit seit dem Vollzug der Deutschen Einheit, weil sich so viel verändert habe und auch weiterhin im Wandel begriffen sei. Die Frage nach den Unterschieden zwischen Ost und West sei für sie nicht mehr wichtig. Auch werde der Osten, also die DDR, in der Nachschau häufig verklärt, und die Menschen im Westen würden vieles davon glauben.

 

Frage man heute die junge Generation, zu der auch ihre Söhne gehörten, nach den Unterschieden, erhalte man nicht gleich eine Antwort, oder auch diese: Was in Stuttgart als Pfannkuchen bezeichnet werde, sei im Osten eben der Eierkuchen! – Auf dem Podium und im Saal ist allseits nur fröhliche Zustimmung zu hören.

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