Reden

Bildung im globalen Kontext: die Perspektive der UNESCO

 Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Einladung, auf Ihrer Tagung „Christliche Bildung und Humanismus im Globalen Kontext“ die Perspektive der UNESCO vorzustellen. Ich freue mich umso mehr über diese Gelegenheit, da sowohl die katholische Kirche als auch die Vereinten Nationen globale Institutionen sind, die weltweit die Bildungspraxis nicht nur mitgestalten, sondern auch maßgeblich an der Entwicklung zeitgemäßer Bildungskonzepte beteiligt sind.

Das Menschenbild der christlichen Kirchen ist in ganz zentraler Weise mit dem Begriff der Bildung verbunden. In dem Text der Kongregation für das katholische Bildungswesen: „Erziehung zum solidarischen Humanismus“ ist dieses Verständnis mit großer Deutlichkeit formuliert: „Bildung steht im Dienst der höchsten Ziele des Menschseins“.

Ich habe das dort entwickelte Konzept einer Bildung zum solidarischen Humanismus mit großem Interesse gelesen. Es vertritt eine ethische Fundierung der Bildung, und zwar eine ethische Fundierung mit einem denkbar hohen Anspruch. Bildung muss dem Einzelnen, der Person gerecht werden. Sie muss ihr die vollständige Entwicklung ihrer Anlagen und Talente ermöglichen. Zugleich muss sie zu einer vertieften Wahrnehmung der Verantwortung führen, die jeder und jede von uns gegenüber der Gemeinschaft und auch gegenüber unserem Lebensraum Erde haben.

Dieser „solidarische Humanismus“, der auch mit der bewegenden Botschaft einer „Zivilisation der Liebe“ umschrieben wird, beschränkt sich nicht auf die uns nahestehenden Menschen oder etwa auf die heute oft wieder so sehr betonte Zugehörigkeit zu einer Nation. Diese Verantwortung hat globale Geltung. Wenn wir fordern, dass Bildung einen Beitrag leisten muss zu Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität, so muss sie diesen Beitrag in der globalen Dimension leisten.

Dies ist eine sehr wichtige Einsicht. Sie prägt auch den Bildungsbegriff der UNESCO! Der Anspruch des Humanismus, der in dem Titel dieser Tagung einen prominenten Platz einnimmt, umfasst notwendiger Weise die Menschheit als Ganze. Dies war vermutlich nie so deutlich wie heute.

Die Geschichte des abendländischen Humanismus ging, wie uns heute allen mehr und mehr bewusst ist, immer auch einher mit der Selbstwahrnehmung einer kulturellen Überlegenheit Europas, mit der geradezu rücksichtslosen Ausbeutung anderer Regionen dieser Welt, mit der Kolonialisierung anderer Völker. So haben Sie sich bei Ihrer Jahrestagung 2017 mit „Postkolonialismus und Missionstheologie“ auseinandergesetzt. Solche postkolonialen Diskurse müssen wir ebenso im kulturellen Kontext und im Bildungsbereich offen und intensiv führen.

Vor diesem historischen Hintergrund hat die ehemalige UNESCO-Generaldirektorin Bokova im Oktober 2010 anlässlich einer Rede in Mailand einen „neuen Humanismus für das 21. Jahrhundert“ gefordert.

Interessanter Weise hat die Kongregation für das katholische Bildungswesen 2017 ebenfalls gefordert, Bildung in den Dienst „eines neuen Humanismus“ zu stellen. Das ist eine denkwürdige Parallelität!

Die UNESCO-Generaldirektorin bezog sich dabei auf den italienischen Philosophen Pico della Mirandola, der in seiner berühmten Rede De hominis dignitate (Über die Würde des Menschen) im Jahr 1486 schrieb: Gott hat den Menschen frei in die Mitte der Welt gestellt, damit er sich dort umschauen, alles Vorhandene erkunden und dann seine Wahl treffen kann. Damit wird der Mensch zu seinem eigenen Gestalter, der nach seinem freien Willen selbst entscheidet, wie und wo er sein will. Hierin liege das Wunderbare seiner Natur und seine besondere Würde.

Diese Verantwortung des Einzelnen für seine eigene Entwicklung und seine Umwelt müsse heute aber – so die UNESCO-Generaldirektorin Bokova – noch viel konsequenter als je zuvor in der globalen Dimension gedacht werden.

Die volle Entwicklung des menschlichen Potenzials darf nicht als ein Bildungsprojekt missverstanden werden, das den kosmopolitischen Eliten vorbehalten bleibt.

Der humanistische Bildungsauftrag ist universell, ebenso wie die Verantwortung, die wir als Menschen füreinander haben, eine globale ist.

Es ist richtungsweisend, dass Sie dies in der Entfaltung des christlichen Bildungskonzepts so deutlich herausstellen.

Ein solcher solidarischer Humanismus ist eines der wichtigsten politische Anliegen der Gegenwart. Es ist das Programm, für das sich – mit ihren eigenen Mitteln und auf ihren eigenen Wegen –die Vereinten Nationen und insbesondere die UNESCO einsetzen.

Die hoffnungsvolle Vision einer „Zivilisation der Liebe“ droht in der politischen Dynamik der Gegenwart an Ausstrahlungskraft zu verlieren.

Gerade deshalb ist es wichtig, sich daran zurückzuerinnern, warum die UNESCO ihre Perspektive einer Bildung im globalen Kontext entwickelte.

Noch während des Zweiten Weltkriegs traf sich am 16. November 1942 in London eine Gruppe alliierter Bildungsminister. Gegenstand ihrer Beratungen war die Vorbereitung der Nachkriegszeit. Allen Beteiligten war klar: Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und die Verständigung über die Feindeslinien hinweg würden ganz wesentlich von Investitionen in die Bildung abhängen.

Diese „Conference of Allied Ministers of Education“ (CAME) war der Kreis, in dem auch die Gründung der UNESCO im November 1945 vorbereitet wurde.

In einer der dunkelsten Stunden der europäischen Geschichte war den Ministern klar: Um das Grauen des Krieges, um die furchtbaren Folgen der ideologischen Radikalisierungen, um die Auswüchse der antagonistischen Nationalismen verhindern zu können, war es von zentraler Bedeutung, sich intensiv der Frage der Bildung zuzuwenden.

Bei einem dieser Ministertreffen 1944 hob James William Fulbright hervor:

„Mit internationalen Anstrengungen in der Bildung erreichen wir langfristig mehr als mit noch so vielen Handelsverträgen.“

Der britische Premierminister Clement Attlee nahm diesen Faden auf und stellte die Frage, ob Kriege nicht in den Köpfen der Menschen entstehen?

Dieser Gedanke prägte die bekannte Formel, mit der die Verfassung der UNESCO beginnt:

„Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden“.

Dies ist die alles überwölbende Leitidee für die Arbeit der UNESCO. Es geht um die gemeinschaftliche und langfristige Anstrengung, die Menschen zum Frieden zu befähigen. Denn nur im Frieden können Menschen sich entfalten, ein erfülltes Leben in Würde und Freiheit führen.

Dieser Anspruch kann nur im Zusammenwirken der gesamten Staatengemeinschaft, in einem multilateralen Zugang gelöst werden.

Die Notwendigkeit eines starken Multilateralismus wurde 1945 allen Beteiligten klar.

Wenn wir heute die aktuellen politischen Entwicklungen in den Blick nehmen, so bemerken wir eine neue Emphase in der Entgegensetzung von nationalen Interessen und multilateraler Abstimmung.

Donald Trump gebrauchte im vergangenen Jahr vor der UN-Generalversammlung die Formel: mit Patriotismus gegen den Globalismus.

Dies ist keine Randnotiz. Die Wellen dieser politischen Eruptionen bekommen wir nicht zuletzt auch in der Europäischen Union zu spüren. Ja, wir brauchen starke Nationen, selbstbewusste Gesellschaften, die in demokratischen Prozessen ihre Werte und die Formen ihrer kulturellen Verständigung aushandeln und sich an ihnen ausrichten. Es ist aber falsch und verhängnisvoll, daraus einen Gegensatz zur internationalen Zusammenarbeit, zum Multilateralismus, kurzum: zur Weltoffenheit zu konstruieren. Greifen wir den Gedanken von Peter Sloterdijk auf: Wir kommen aus verschiedenen Geschichten, gehen aber alle in eine Zukunft.

Die Stärke von Nationen und die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften hängen davon ab, wie klug wir in stabile Instrumente des politischen, wirtschaftlichen und auch des kulturellen Austauschs investieren und wie intensiv wir die multilaterale Verständigung vorantreiben. Die großen Herausforderungen unserer Zeit, Klimawandel, Globalisierung, Migration, Digitalisierung können wir doch nur gemeinsam, im Verbund mit anderen Staaten lösen. Alles andere wäre ein Trugschluss!

Dies ist der Grund, warum für eine zukunftsgerichtete Bildungspolitik die Befähigung zur Weltoffenheit heute nicht nur eine Ergänzung des Bildungskanons ist, sondern warum sie ins Zentrum unseres Bildungsverständnisses gehört.

Dieser Ansatz kennzeichnet das Bildungsverständnis der UNESCO. Er ist sozusagen ihre DNA.

Das Bildungsverständnis der UNESCO hat sich zunächst in zwei wichtigen Etappen konkretisiert.

Die erste Etappe war geprägt von den beiden großen Bildungsberichten: zunächst dem Faure-Bericht „Learning to be“ von 1972. Der Bericht ist getragen von der Überzeugung, dass Bildung der entscheidende Weg ist, Menschen auf Teilhabe an einer Gesellschaft vorzubereiten, die sich tiefgreifend verändert. Damit untrennbar verbunden ist das Konzept des lebenslangen Lernens.

Die Weiterentwicklung stellt der 1996 erschienene sogenannte Delors-Bericht dar: “Learning: The treasure within.“ Bekannt ist dieser Bericht für die vier „Säulen“ des Lernens: Lernen, Wissen zu erwerben; Lernen, zu handeln; Lernen, zusammenzuleben; und Lernen, zu sein.

Die zweite wichtige Etappe für die UNESCO ist die breite und sehr substanzielle Entwicklung des Konzepts einer Bildung für nachhaltige Entwicklung seit Anfang der 2000er Jahre.

Bildung für nachhaltige Entwicklung – kurz: BNE – fand schließlich Eingang in die Agenda 2030, die globale Nachhaltigkeitsagenda der UN.

BNE zielt im Kern darauf ab, in einer komplexer und ungewisser werdenden Welt die Fähigkeit zur Gestaltung und zur Übernahme von Verantwortung zu vermitteln. Sie legt ein humanistisches, kosmopolitisches und umweltbezogenes Wertmodell zugrunde.

Die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen erstreckt sich auf die globale Gemeinschaft und auf künftige Generationen. BNE geht von einem ganzheitlichen Verständnis nachhaltiger Entwicklung aus, das die Bildungseinrichtungen in ihrer Gesamtheit auch außerhalb von Unterricht und Lehre prägen sollte.

BNE nimmt inzwischen, dank der Unterstützung von Seiten des BMBFund der Länder, einen festen Platz in der deutschen Bildungslandschaft ein. Aber es ist ein überschaubarer Platz. Hier ist noch Luft nach oben! Das trifft ebenso weltweit zu.

Und es gilt alle 3 Dimensionen der Nachhaltigkeit einzubeziehen, also nicht nur die ökologische sondern auch die soziale und die wirtschaftliche Dimension, ganz im Sinne der Agenda 2030!

Das Jahr 2012 markiert den Beginn einer 3. Etappe: UN-Generalsekretär Ban Ki-moon setzte mit seiner Global Education First-Initiative einen neuen Schwerpunkt in der Bildungsagenda der Vereinten Nationen, indem er die Notwendigkeit einer Bildung für Global citizenship erklärte. Dieses neue Bildungsziel ist auch in der Agenda 2030 aufgegriffen worden.

Worum geht es bei der Global citizenship education?

Wir tun uns schwer mit der Übersetzung dieses Begriffs des global citizen ins Deutsche. Der naheliegende Ausdruck „Weltbürger“ führt uns begriffsgeschichtlich auf eine falsche Fährte. Es geht nicht um die Höhensicht einer bildungsbürgerlichen Elite.

Es geht darum, die Bezüge, die wir im eigenen direkten Umfeld entwickelt haben – soziale, kulturelle, politische und vor allem auch emotionale Bezüge, die uns ganz besonders beschäftigen und fordern, es geht darum, diese Bezüge für einen Weltbezug zu öffnen.

Die konstruierte Entgegensetzung, dass ein Weltbürger oder eine Weltenbürgerin, ein global citizen jemand sei, der nirgendwo mehr zu Hause ist, ist geradezu abwegig. Globale Verantwortung kann nur aus dem erwachsen, was wir in unserer unmittelbaren Umgebung erleben, aufbauen und schätzen lernen.

Aber wer glaubt, sich auf die engen Grenzen seiner unmittelbaren Umgebung beschränken zu können und nicht den Blick über den Tellerrand wagt, geht ein hohes Risiko ein!

Alexander von Humboldt hat es treffend auf den Punkt gebracht: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.“

Weltbezug ist kein Luxus, kein elitäres Accessoire, keine abstrakte Kategorie mehr.

Weltoffenheit – darum geht es!

Wir öffnen uns aus unserem eigenen Verständnis, aus dem, was uns wichtig ist, für das, was anderen wichtig ist und was für sie Bedeutung hat und ihr Leben ausmacht.

Und wir entwickeln eine Wahrnehmung dafür, dass wir Teil der gesamten Menschheit von inzwischen knapp 8 Milliarden Menschen sind und gemeinsame Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten Erde tragen.

Diese Weltoffenheit ist ein Ziel, das wir zentral in unserem Bildungskonzept verankern müssen.

Angesichts der enormen globalen Herausforderung hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen, die sogenannten Sustainable Development Goals.

Sie sollen bis 2030 erreicht werden. Die 17 Ziele der Agenda 2030 reichen von der Sicherung von Frieden und einem nachhaltigen ökonomischen Wachstum über die Bekämpfung des Klimawandels bis hin zu dem Abbau von Benachteiligungen, der Gleichberechtigung der Geschlechter und chancengerechter, hochwertiger Bildung für alle Menschen.

Was zeichnet die Agenda 2030 aus?

Die Antwort darauf lässt abschätzen, welche zentrale Bedeutung sich daraus für die UNESCO und ihren weltweiten Bildungsauftrag ergibt.

Erstens, die Agenda 2030 beschreibt die Nachhaltigkeitsziele als gemeinsame Aufgabe der gesamten Menschheit. Sie ist universell, d.h. sie richtet sich nicht alleine an die Entwicklungsländer, wie es zuvor bei den Millenniumszielen der Fall war, sondern ebenso an die Schwellenländer und die Industrieländer, also an uns. Denn Nachholbedarf gibt es überall und nachhaltige Entwicklung ist nur im Zusammenwirken der Staaten und Institutionen weltweit zu erreichen.

Die Nachhaltigkeitsagenda beinhaltet daher ein klares Plädoyer für eine enge multilaterale Zusammenarbeit.

Zweitens, mit der Agenda 2030 haben wir einen roten Faden für unser Handeln und präzise, überprüfbare Vorgaben an der Hand. Entscheidend ist, dass sich Nachhaltigkeit nicht nur auf den sorgsamen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen erstreckt. Nachhaltigkeit muss ebenso Maßstab für unser wirtschaftliches und soziales Handeln sein. Dieses umfassende Nachhaltigkeitsverständnis zeichnet die Agenda 2030 aus.

Angesichts dessen hat mich die letztjährige Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft an William Nordhaus und Paul Romer besonders bewegt.

Beiden geht es darum, eine Wirtschaft und Wirtschaftsordnung zu schaffen, die dauerhaftes und nachhaltiges Wachstum ermögliche, so das Nobelpreiskomitee. Zudem hebt Paul Romer die Bedeutung von Bildungsinvestitionen hervor, um dieses Ziel zu verwirklichen.

Genau das ist Gegenstand der Agenda 2030.

Drittens, Bildung ist in der Agenda 2030 ein eigenes Ziel gewidmet. Das ist ein großer Erfolg. Kein Zweifel: Bildung ist der Schlüssel für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele. Bildung ermöglicht, die Herausforderungen zu verstehen, sich damit auseinanderzusetzen, Lösungswege kritisch zu bewerten und Veränderungen zu gestalten. Nur wenn Menschen über eine entsprechende Bildung verfügen, können sie eine friedliche, sozial gerechte und ökologisch verantwortungsvolle Welt schaffen.

Nelson Mandela hat die Schlüsselfunktion von Bildung in einem Satz zusammengefasst: „Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern.“

Das Ziel der im Sustainable Development
Goal 4 verankerten Bildungsagenda ist hochgesteckt: „Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen sicherstellen.“

Der UNESCO als Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur wurde die Federführung für die weltweite Koordinierung der Bildungsagenda übertragen. Mit der Umsetzung der Bildungsagenda 2030 beginnt für die UNESCO ihre 4. Etappe zur Verbesserung von Bildung weltweit.

Es ist aber zugleich wichtig daran zu erinnern: Die Bildungsagenda 2030 ist umfassender als Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die globale Bildungsagenda legt den Schwerpunkt auf Qualität, Chancengerechtigkeit und lebenslanges Lernen. Ich bin überzeugt: Die Bildungsagenda 2030 sollte in ihrer Gesamtheit als Referenzrahmen für die Bildungspolitik in Deutschland und weltweit wahrgenommen werden.

Dieser Gedanke leitet mich, seit ich als Staatsministerin im Auswärtigen Amt für Deutschland die Nachhaltigkeitsagenda bei der UN in New York verhandelt habe.

Gemeinsam mit Frankreich und der Schweiz (Trio) haben wir uns dafür eingesetzt, dass es nicht allein um Grundbildung geht, sondern dass die Bedeutung des lebenslangen Lernens im Zentrum steht. Und ich freue mich sehr, dass dies gelungen ist. Die Ziele der Bildungsagenda reichen von der frühkindlichen über die schulische Bildung bis hin zur beruflichen und akademischen Bildung und zur Weiterbildung.

Bei der Umsetzung wird es darauf ankommen, dass Mädchen und Frauen überall auf der Welt endlich über gleiche Bildungschancen verfügen. Dafür macht sich die Generaldirektorin der UNESCO Audrey Azoulay stark und wir unterstützen sie dabei mit aller Kraft.

Die beiden etablierten Bildungskonzepte der UNESCO Bildung für nachhaltige Entwicklung und Global Citizenship Education – oder wie ich lieber sage Bildung für Weltoffenheit – sind in der Bildungsagenda 2030 erstmals als eigenständige Handlungsfelder definiert.

Hier kann auch die katholische Kirche als bedeutende weltweite Bildungsträgerin einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei ist zu bedenken, dass Global Citizenship Education kein gesondertes Fach ist, das zu allen anderen Aufgaben noch hinzukommt.

Global Citizenship, Weltoffenheit, Interkulturalität, ist vielmehr ein Bildungsansatz, der vor Ort ganz praktisch erfahren wird. Schülerinnen und Schüler können in vielen Kontexten im Unterricht motiviert werden, ihre Herkunft und ihre Kultur mit den anderen zu teilen. So können sie neue Perspektiven und Sichtweisen gewinnen.

Wir als Deutsche UNESCO-Kommission haben Bildung für nachhaltige Entwicklung während der UN-Dekade BNE 2005 bis 2014 fest in Deutschland verankert. 2017 wurde dann der Nationale Aktionsplan BNE von der Nationalen Plattform BNE verabschiedet.

Ein Meilenstein und zugleich ein Startschuss!

Denn damit verfügen wir über einen konkreten Fahrplan für die Veränderung unseres Bildungssystems hin zu mehr Nachhaltigkeit. Ziel ist es, BNE in allen Bildungsbereichen strukturell zu verankern. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Seine Umsetzung wird uns gelingen, wenn sich alle aktiv einbringen.

Die Deutsche UNESCO-Kommission beteiligt sich mit Ihrem großen Netzwerk: Die UNESCO-Welterbestätten, Geoparks, Biosphärenreservate, Projektschulen, der Freiwilligendienst kulturweit und naturweit werden Lernorte für BNE. Wichtige Partner sind für uns die UNESCO-Lehrstühle, die sich alle in Deutschland den Nachhaltigkeitszielen und BNE als Rahmen für ihre Forschung und Lehre verschrieben haben.

Es gibt wichtige Übereinstimmungen im Bildungsverständnis der UNESCO und dem Bildungsverständnis der katholischen Kirche. Zusammenfassend liegen diese für mich in drei zentralen Punkten:

  1. Der ganzheitliche Bildungsbegriff: Bildung bezieht den ganzen Menschen ein, mit seinen Werten, Haltungen, seiner sozialen Gestaltungskompetenz. Es geht bei Bildung nicht um kognitive Leistungen oder um instrumentelle Befähigung zum beruflichen Erfolg, sondern um Menschwerdung im Sinne der Entwicklung einer verantwortungsvollen Persönlichkeit, die ihren Beitrag zur Gestaltung einer humanen Welt leisten kann.
  2. Bildung muss zur globalen Solidarität befähigen; sie muss in einem umfassenden humanistischen Sinn die Würde, von der Pico della Mirandola sprach, als universellen Anspruch vermitteln. Dazu gehören auch die Bereitschaft und die Fähigkeit, kulturelle Vielfalt zu respektieren.
    In dem Text „Erziehung zum solidarischen Humanismus“ nennen Sie das die „Kultur des Dialogs“. Besonders bemerkenswert finde ich den Hinweis, dass es nicht nur darum geht, „miteinander zu reden, um einander kennenzulernen und so die befremdliche Wirkung der Begegnung zwischen Bürgern unterschiedlicher Kulturen abzuschwächen.“
    Vielmehr gehe es um einen „echten Dialog“ mit den ethischen Voraussetzungen der Freiheit und Gleichheit.
    Damit gehen Sie einen Schritt weiter als Viele, die im Sinn eines modernen Verständnisses von Toleranz lediglich die oberflächliche Wahrnehmung des Gegenübers in seiner Andersheit anstreben. Denn es ist Ihnen und es muss uns allen ein Anliegen sein, sowohl die eigene Freiheit als auch die Freiheit des Andern anzuerkennen.
    Dies ist die Haltung, in der ein Gespräch auch über kulturelle Grenzen hinweg zu einer echten Begegnung zwischen Menschen wird. Hierin liegt eine große Bereicherung für alle! In diesem Sinn muss  auch das Projekt der UNESCO gestaltet werden, Global citizenship in den weltweiten Bildungskonzepten (Bildungskontexten) einzubringen und zu verankern. 
  3. Der dritte Aspekt bezieht sich auf den innovativen Inklusionsbegriff, der in dem Text „Erziehung zum solidarischen Humanismus“ entwickelt wird. Unter „echter Inklusion“ verstehen Sie die Einbeziehung künftiger Generationen in den solidarischen Humanismus der Gegenwart. Dies stimmt mit dem Nachhaltigkeitsparadigma überein, wie es im Brundtland-Bericht 1987 formuliert wurde und in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen seinen aktuellsten politischen Niederschlag gefunden hat.
    Sehr spannend finde ich, dass Sie das Verständnis der Inklusion dann auch ausweiten auf die Generationen, die uns vorausgegangen sind und deren zivilisatorisches und kulturelles Erbe uns anvertraut ist.
    Hier sprechen Sie eine Ebene der Verantwortung an, für die insbesondere die UNESCO seit ihrer Gründung 1945 in erheblichem Maße und mit großem Erfolg tätig geworden ist.
    Die Erschließung und Erforschung, der Schutz und Erhalt, die Vermittlung und Weitergabe des Erbes der Menschheit ist das Aufgabenfeld, mit dem die UNESCO weltweit zuerst in Verbindung gebracht wird. Dafür steht die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Der Einsatz der UNESCO hat erheblich dazu beigetragen, dass weltweit die Bedeutung des Kulturgutschutzes gestärkt wurde.
    Zugleich ist es der UNESCO gelungen, dieses Erbe aus seiner nationalen, teilweise chauvinistischen Verortung herauszulösen und als gemeinsames Erbe der Menschheit zu deuten. Das ist ein mehr als bemerkenswerter Erfolg und nicht selbstverständlich.
    Zur Wahrung des zivilisatorischen Erbes zählt seit einigen Jahren auch der Schutz des Immateriellen Kulturerbes, das sich auf das überlieferte Wissen und Können vorausgegangener Generationen bezieht.
    Es reizt mich diesen umfassenden Inklusionsbegriff noch um eine Dimension zu ergänzen, nämlich um die des pflanzlichen und tierischen Lebens, das uns umgibt und das uns trägt.
    Die Solidarität, die wir mit unserer Bildungsarbeit erreichen wollen, muss sich nicht nur auf die künftigen und auf uns vorausgegangenen Generationen von Menschen erstrecken, sondern auf das Leben insgesamt, mit dem wir uns diesen Planeten Erde teilen.
    Im christlichen Verständnis würden wir hier von der Bewahrung der Schöpfung sprechen.
    Auch hierfür setzt sich die UNESCO ein. So setzt sie sich im Welterbeprogramm neben dem Kulturerbe auch für das Naturerbe ein. Weitere Programme wie die Biosphärenreservate und der Schutz der Ozeane zielen ebenfalls in diese Richtung.

Sie sehen: Der ganzheitliche Bildungsbegriff, die Bildung zu einer globalen Solidarität und der mehrdimensionale Inklusionsbegriff verbinden im Innersten unsere Vorstellungen davon, was Bildung erreichen kann und soll.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies ein anspruchsvolles Programm ist.

Nicht nur wegen der besonderen ethischen Fundierung, aus der es sich herleitet.

Sondern auch deshalb, weil die politischen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen der Gegenwart ein solches Programm nicht zwingend begünstigen.

Es sind sogar starke Gegenströmungen gegen die Zielsetzungen eines modernen und solidarischen Humanismus zu beobachten. Zugleich gibt es aber so viele gute und hoffnungsvolle Kräfte wie vielleicht noch in keiner Zeit vor unserer.

Lassen Sie uns mit den Worten des Humanisten Pico della Mirandola das Vorhandene erkunden und unsere Wahl treffen.

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